Lexikon der Tugenden: Treue

Bild Lexikon der Tugenden2020 und 2021 war geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

Treue

Die Treue scheint eine Tugend aus einer vergangenen Zeit zu sein. Eine lebenslange Treue, „bis dass der Tod euch scheidet“, ist zur Ausnahme, zur Seltenheit geworden. Dabei soll nach jüngsten Umfragen bei jungen Leuten dieses Ideal durchaus wieder im Trend liegen – besonders bei denen, die durch die Scheidung der Eltern den Schmerz einer zerrütteten Familie hautnah erlebt haben. Verständlich, dass gerade sie sich nach dauerhafter Geborgenheit, menschlicher Wärme, Verlässlichkeit und nach geordneten Verhältnissen sehnen. Die Tragik besteht nur darin, dass es kaum einer schafft. Ein Grund dafür scheint in der Neudefinierung dieser Tugend zu liegen: Nicht mehr das lebenslange Zusammenbleiben ist das erstrebenswerte Ziel, sondern die sogenannte „serielle Monogamie“, die Treue zu dem/der jeweiligen Lebensabschnittspartner(in). Allein das ist heutzutage schon Herausforderung genug und kann trotzdem ehrlich gemeint sein und mit bester Absicht gelebt werden.

Das Wort Treue hat seinen Ursprung im Mittelhochdeutschen triuwe, im Verb truwen, was so viel bedeutet wie feststehen, vertrauen, glauben und wagen. Genau dieses Wagnis geht man mit dem Eheversprechen und -bund (Ehering) ein, wovor sich heute viele aber scheuen. Nun kann man leicht den Eindruck bekommen „früher war alles besser“. Aber das wäre zu kurz gedacht, denn vielleicht hat die heutige gesellschaftliche Erscheinung auch etwas mit den Ehen der früheren Generationen zu tun, deren lebenslange Treue nicht automatisch ein Garant in punkto Familienglück und Harmonie waren.     

Diese Tugend hat noch andere Werte zu bieten, z. B. die Treue im Sinne von Zuverlässigkeit am Arbeitsplatz, in Vereinen, beim Ehrenamt und in jedem Familien- und Freundeskreis. Und eine christliche Gemeinde würde ohne die treuen Dienste kümmerlich vor sich hin dümpeln. Hier wird die inhaltliche Verwandtschaft zu der Tugend Pflichtbewusstsein deutlich.    

Und schließlich geht es bei dieser Tugend um die Treue zu sich selbst; um Menschen, die trotz Gegenwind mit Geradlinigkeit ihre Meinung, Lebenshaltung und Weltanschauung, und dazu gehört auch der Glaube, vertreten – ohne jedoch in die Sturheit abzugleiten. Und noch mehr Größe gehört dazu, wenn jemand zu seinen Fehlern und Schwächen steht – ohne sie zu verharmlosen oder ohne sich gleich zu rechtfertigen. Diese Menschen sind im Umgang angenehm, weil man weiß, was sie wollen, woran man bei ihnen ist und weil sie zuverlässig sind – und das in mehrfacher Hinsicht. Und nicht zuletzt besitzen sie eine gewisse Würde, weil sie Wahrhaftigkeit ausstrahlen; eine Tugend, die in der nächsten Ausgabe vorgestellt werden soll.

Gundolf Lauktien