Lexikon der Tugenden: Mäßigung

Bild Lexikon der Tugenden2020 und 2021 war geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

Mäßigung

Die Mäßigung gehört zu den vier antiken Kardinaltugenden und wird sogar als „Mutter aller Tugenden“ bezeichnet. Der Begriff Mäßigung geht zurück auf das mittelalterliche „maz“ und bedeutete sinngemäß die „richtige Menge“. Genau darum geht es bei dieser Tugend: das rechte Maß finden – z.B. beim Umgang mit Geld: weder verschwenderisch noch geizig sein; oder beim Sport: weder zu inaktiv noch zu exzessiv. Und dann das leidige Thema Ernährung: die gesunde Ausgewogenheit zwischen Fasten und Prassen. Doch gerade wenn es um den Genuss geht, finden viele nicht das rechte Maß. Denken wir nur an den „verlorenen Sohn“ (Lk 15,13), der in kürzester Zeit sein Erbe verjubelte.

Aber es gibt auch Menschen, die schon beim Erzählen dazu neigen, maßlos zu übertreiben. Andere gehen bei der Tugend der Bescheidenheit zu weit, indem sie sich selbstlos zurücknehmen und mitunter rücksichtslos gegen sich selbst und die eigene Familie sind.

Im Lateinischen gibt es für die Mäßigung gleich zwei Begriffe: einmal die modestia, was außerdem noch Besonnenheit bedeutet; und temperantia: Mäßigung und Selbstbeherrschung. Ein guter Moderator wird eine Diskussionsrunde mit Besonnenheit lenken und darauf achten, dass bei einer hitzigen Debatte niemandem das Temperament durchgeht. Deswegen achten kultivierte Menschen schon bei Alltagsgesprächen auf moderate Wortwahl und Lautstärke, denn „der Ton macht die Musik“.

Nun hat im heutigen Sprachgebrauch die Tugend der Mäßigung leider einen abwertenden Klang durch den Begriff Mittelmäßigkeit. Wir leben in einer Zeit, in der alles super, traumhaft und einmalig sein muss. Erinnern wir uns an die zurückliegende Olympiade in London. Anerkannt wurden Spitzenleistungen. Im Rampenlicht standen die Medaillengewinner. Und selbst unter ihnen gab es noch enttäuschte, wenn sie „nur“ „Silber“ geholt haben. Doch diejenigen, die schon in den Vorläufen ausschieden, fanden „unter ferner liefen“ wenig Beachtung. Soviel oder so wenig Wert geben wir dieser Form der Mittelmäßigkeit.

Aber die Mäßigung zielt von ihrer inhaltlichen Bedeutung genau darauf ab: die gesunde Mitte zwischen einem Zuwenig und einem Zuviel. So haben Menschen mit dieser Tugend das rechte Maß gefunden, wenn es grundsätzlich um die Ansprüche an das Leben geht: Sie müssen nicht etwas erreichen, was sie letztlich überfordert. Sie können verzichten. Und Genügsamkeit und Selbstbeherrschung sind für sie keine Fremdwörter. Deswegen erkennt man maßvolle Menschen manchmal schon am Essen und Trinken …

Gundolf Lauktien