Lexikon der Tugenden: Friedfertigkeit

Bild Lexikon der Tugenden2020 war geprägt von Tugenden wie Anteilnahme, Disziplin, Großzügigkeit Hilfsbereitschaft, Hingabe oder Respekt. Die preußischen Tugenden mit denen Friedrich II. in Verbindung gebracht wurde, lauten beispielsweise: Disziplin, Fleiß, Gehorsam oder Treue. Teils wurden diese Tugenden als altmodisch und als ein Relikt überwundener Zeiten belächelt. Teils wurde beklagt, dass im Zuge des Werteverfalls kaum noch jemand weiß, was denn Tugenden überhaupt sind. Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Tugenden wichtig sind.

Der „Brockhaus“ erklärt diesen Begriff sinngemäß so: „Gesellschaftlich anerkannte Maßstäbe und Werte, die man mit sittlicher Festigkeit und Tüchtigkeit lebt und vervollkommnet.“

Schlicht gesagt: Das Gute erkennen und tun. Was das konkret bedeutet, soll nun mit einer Fortsetzungsreihe von einigen Tugenden erklärt werden.

 

Friedfertigkeit

Die Friedfertigkeit nimmt in allen Weltreligionen einen bedeutenden Platz ein. Im Judentum grüßt man sich am Sabbat mit „Shabbat shalom“, im Islam heißt es „Salem Aleikum – Friede sei mit dir“ und im Buddhismus hat der Mensch im „Achtfachen Pfad der Tugenden“ jegliche Formen der „Gewalttätigkeit und des Übelwollens“ zu meiden. Und nicht zuletzt: Jesus preist die Friedfertigen selig, sie werden Kinder Gottes genannt (Matthäus 5, 9). Nun kritisiert man zu Recht, dass es zwischen den Religionen und innerhalb derselben und unter den Gläubigen alles andere als friedlich zuging und geht. Umso wichtiger ist es, sich dieser Tugend zu erinnern und sie einzuüben, und das bereits im frühesten Kindesalter. Denn es ist erwiesen, dass Gewalttäter oftmals selbst mit Schlägen groß geworden sind. Und sie setzen das fort, was sie kennengelernt haben. Wird ein Kind aber in einer harmonischen, friedvollen Umgebung groß, lernt es früh Konflikte anders anzugehen, ohne Gebrüll, Kraftausdrücke und Brachialgewalt. Konflikte und Streitereien gibt es immer mal, aber man kann lernen, den anderen dabei nicht zu kränken. Es ist sogar möglich, sich zu streiten, ohne dass einer von den Konfliktparteien am Ende als Verlierer oder gar Dummkopf zurückbleibt. Aber das ist nicht einfach, zumal man um das Sprichwort weiß: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Soll man deswegen kapitulieren oder gegenhalten? Gar nicht wenige vertreten ja den Standpunkt, dass ein „kräftiges Gewitter die Luft reinigt“ und dass „auf einen groben Klotz nun mal ein grober Keil gehört“. Jesus aber hat die Spirale der Gewalt durchschaut und deswegen nicht den Draufhauer, sondern den Friedfertigen gepredigt. Nur er ist in der Lage, hinter die Fassade der Aggressivität oder der Unverschämtheit zu schauen. Er weiß um den Mechanismus der Projektion: Da will jemand seinen eigenen inneren Konflikt auf mich übertragen, quasi an mir abarbeiten, mich damit provozieren. Wenn ich aber auf der Hut bin, werde ich dieses böse Spiel nicht mitmachen, werde nicht mit gleicher Münze heimzahlen, sondern in überraschend paradoxer Weise ihm auch noch die andere Wange hinhalten. Friedfertigkeit besagt aber nicht, dass ich mir alles gefallen lassen soll. Im Gegenteil. Der Friedfertige ist kein feiger, willenloser Schwächling. Er bleibt nicht passiv, sondern wird sogar zum Friedensstifter. Mahatma Gandhi, Martin Luther King und ihre Mitstreiter haben ein nachhaltiges Zeichen gesetzt. Der/ die Friedfertige kann auch heute Signale der Harmonie aussenden, bei einem Konflikt vermitteln, Streithähne besänftigen und eine hitzige Atmosphäre beruhigen. In einer Zeit, wo die Scharfmacher immer lauter ihre Stimme erheben, sind selbst noch so kleine Impulse für ein friedliches Miteinander dringend geboten!

Gundolf Lauktien